Kirchenführung und Coronakrise

Anfang Februar hatte sich eine 7. Klasse des Pestalozzigymnasiums im Rahmen des evangelischen Religionsunterrichtes zu einer Kirchenführung durch St. Georg angemeldet. Zwei Unterrichtsstunden waren dafür angesetzt. Die Schülerinnen und Schüler suchten sich einen Platz aus, der sie besonders ansprach, und begründeten ihre Wahl.

In einer nahezu schmucklosen Kirche, die wie eine kleine Basislika gebaut ist, fallen die einzelnen Gegenstände, besonders die im Altarraum, sofort ins Auge und werfen Fragen auf. Was ich für die Schulklasse vorbereitet hatte, kann nach den Erschütterungen des corona-bedingten Eucharistiefastens Andacht und Ehrfurcht vertiefen.

 

Die Zeit des Verbots öffentlicher Gottesdienste ließ uns unsere Kirche noch kostbarer werden. Zwar feiern wir jedes Jahr in großer Dankbarkeit das Kirchweihfest, aber „Corona“ regt uns an, vertieft darüber nachzudenken, was uns unsere Kirche bedeutet, warum besonders Altar und Tabernakel die Mitte unseres Glaubenslebens sind.    

 

Während der Babylonischen Gefangenschaft waren die deportierten Juden von ihrem höchsten Heiligtum, dem Tempel in Jerusalem, getrennt. Schmerzlich vermissten sie die Gottesdienste und vor allem die Gegenwart Gottes, die für sie an den Tempel gebunden war. Jesaia hatte in seinem Berufungserlebnis die Herrlichkeit des Herrn, die den Tempel erfüllte, sehen dürfen (Jes 6,1-13). Psalmendichter klagten: „An den Strömen von Babel, da saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten“ (Ps 137,1). Und: „Meine Seele verzehrt sich in Sehnsucht nach dem Tempel des Herrn“ (Ps 84,2). Ein wenig können wir diesen Schmerz, vom Heiligtum und von den Gottesdiensten getrennt zu sein, jetzt nachempfinden. Was macht sie uns so kostbar?

 

Befragen wir die Heilige Schrift. Ein Altar ist ursprünglich ein aufgeschichteter Steinhaufen, auf dem Gott ein (Tier-)Opfer dargebracht wurde. Noah baute dem Herrn einen Altar (Gen 8,20). Abraham baute dem Herrn einen Altar (Gen 12,7). Jakob salbte einen Stein mit Öl (Gen 28,18). Der Altar einer Kirche ist sozusagen der Opferstein für das Lamm Gottes, für die Lebenshingabe Jesu Christi. Gleichzeitig ist der Altar auch festlich gedeckter Tisch, um den sich die Gemeinde versammelt, um die Eucharistie zu feiern. Bei der Weihe eines Altares wird der Stein gesalbt und somit für Gott reserviert.

Im Tempel von Jerusalem gab es zwei große Altäre, den Opferaltar, auf dem die geopferten Tiere geschlachtet wurden, und den Rauchopferaltar für die Darbringung des Weihrauchs. Im Jahre 70 n. Chr. wurde der Tempel endgültig zerstört. Seitdem gibt es diese Altäre nicht mehr. Synagogen haben keine Altäre.

 

Wenn man irgendwo auf der Welt eine Kirche betritt und das Ewige Licht entdeckt, weiß man, dass man sich in einer katholischen Kirche befindet. Das Ewige Licht weist auf den Tabernakel hin, in dem verwandelte Hostien aus der Eucharistiefeier aufbewahrt werden. Christus ist gegenwärtig. Die verwandelten Hostien werden von uns „das Allerheilgste“ genannt. Katholiken beugen die Knie vor dem Allerheiligsten oder versammeln sich zur Anbetung. In den Synagogen brennt das Ewige Licht vor dem Thoraschrein.

Die Wortbedeutung von „Tabernakel“ ist „Zelt, Zeltwohnung“. Das weist uns zurück auf die 40jährige Wüstenwanderung der Israeliten, während der sie in Zelten lebten. Nachdem Mose von Gott auf dem Sinai die Gesetzestafeln erhalten hatte, wurden diese in ein mit Schnitzereien verziertes Kästchen aus Zedernholz gelegt, das wir Bundeslade nennen (Ex 26,1; Ex 33,9; Ex 40,36). In einem kostbar ausgestatteten Zelt wurde die Bundeslade in einem dunklen Raum aufbewahrt. Dieser Raum, die Gotteswohnung, wurde ebenfalls das Allerheiligste genannt. Im Zeichen einer Wolke erfüllte Gott das heilige Zelt mit seiner Gegenwart und zeigte den Israeliten an, wann sie weiterziehen sollten.

König David hatte in einem festlichen Zug die Bundeslade nach Jerusalem bringen lassen (2 Sam 6,5) und errichtete zunächst wieder eine Zeltwohnung. Er wollte dem Herrn einen Tempel bauen, doch Gott ließ ihm durch den Propheten Nathan ausrichten, er sei weiterhin mit einer Zeltwohnung zufrieden (2 Sam 7,1-17). Erst Salomo baute den Tempel und ließ ihn auf das Kostbarste ausstatten (1 Kön 6 und 7). Er richtete die Gotteswohnung ein (1Kön 6,31-36) und brachte die Bundeslade dorthin (1 Kön 8,1-13). Diese Gotteswohnung hieß wiederum das Allerheiligste.

Der Tabernakel einer katholischen Kirche ist ein kleiner Tresor. In Heidenau ist die Tür mit  einem Motiv verziert, das an den brennenden Dornbusch erinnert. Im brennenden Dornbusch durfte Mose Gottes Gegenwart erleben. Wir dürfen vor dem Tabernakel die Gegenwart des Herr erleben. Wir stehen dann auf heiligem Boden.

Auch im himmlischen Jerusalem wird das Zelt Gottes der heilige Mittelpunkt sein (Off 21,3).

Auf den alten Tabernakeltüren, die in St. Georg die Nische mit dem Taufbrunnen und der Osterkerze schmücken, sind neben der Aufschrift „Und das Wort ist Fleisch geworden“ vier Engel dargestellt. Die Bundeslade der Israeliten war mit geschnitzen Seraphim verziert. Engel leben in der Herrlichkeit Gottes und bringen das Dreimalheilig dar, was Jesaia in einer Vision sehen und hören durfte (Jes 6,1-4). Auch wir bringen in jeder heiligen Messe das Dreimalheilig dar, denn auch wir stehen im heiligen Raum, wenn wir uns um Altar und Tabernakel versammeln.

 

Wir wissen, dass Gott nicht an einen Raum gebunden ist, auch nicht an ein Heiligtum. Aber uns Menschen tut ein Raum gut, an dem wir unsere Herzen leichter zu Gott erheben können und der geheiligt ist durch die Gebete der Vielen. Worte der Dankbarkeit für unsere Kirche, für Altar und Tabernakel, leihen wir uns von den Psalmendichtern aus:

 

„Wie liebenswert ist deine Wohnung, Herr der Heerscharen“ (Ps 84,2).

„Wie freute ich mich, als man mir sagte: „Wir ziehen zum Hause des Herrn“ (Ps 122,1).

„Nur eins erbitte ich vom Herrn, danach verlangt mich:  die Freundlichkeit des Herrn zu schauen und nachzusinnen in seinem Tempel“ (Ps 27,4).

„Herr, wer darf Gast sein in deinem Zelt?“ (Ps. 15,1).

„In deinem Zelt möcht ich Gast sein auf ewig“ (Ps 61,5).

 

Im Vorfeld von „Corona“ war die Führung durch St. Georg wie die vorweggenommene  Vertiefung einer neuen Wertschätzung unserer „Gotteswohnung“.

 

Eva Nees, Heidenau