Hirtenwort zur Fastenzeit – von Bischof Heinrich

In einem Hirtenwort zur Fastenzeit hat sich Bischof Heinrich Timmerevers am 5. März 2017 an die Gläubigen seines Bistums gewandt.

Den Brief können Sie auch auf der Seite unseres Bistums finden, oder hier als PDF ansehen: Hirtenbrief zur Fastenzeit [PDF]

 

 

Liebe Schwestern und Brüder,

ein gutes halbes Jahr bin ich nun Ihr Bischof im Bistum Dresden-Meißen. Nach den allerersten Wochen des Ankommens in Dresden habe ich damit begonnen, die Menschen und Orte in dieser Region zu besuchen und kennenzulernen: Was für eine bereichernde Vielfalt durfte ich erleben! Ging es den einen Tag in die sorbisch geprägte Lausitz, so war ich am folgenden Tag in einer Verantwortungsgemeinschaft des Erzgebirges. Den einen Tag besuchte ich Pfarreien im ländlichen Raum und durfte an den Freuden, aber auch an den Sorgen und Nöten der Menschen Anteil nehmen. Anderentags richtete sich die Aufmerksamkeit auf Menschen, welche in den städtischen Pfarreien ganz andere Herausforderungen zu meistern haben. Ähnlich wie bei einem Mosaik setzt sich das Gesamtbild aus vielen Bausteinen zusammen, die es zu entdecken gilt. Stück für Stück ergibt sich mir aus den vielen Begegnungen mit den Menschen ein immer schöner werdendes Bild unseres Bistums, welches mich in meinem Wirken für Sie als Bischof sehr ermutigt! 

Gerade in den Regionen der kleiner werdenden Ortsgemeinden erlebe ich einen geistlichen und menschlichen Zusammenhalt, der mich sehr beeindruckt! Dieses Miteinander beschränkt sich nicht nur auf die katholische Pfarrei, sondern wird im Ort, in der Region oft ganz selbstverständlich im ökumenischen Miteinander gelebt. Da gibt es den Kindergarten oder die Schule, welche ohne diese ökumenische Zusammenarbeit gar nicht existieren könnten. Da arbeitet die örtliche Hospizarbeit oder die Krankenhausseelsorge im besten ökumenischen Miteinander!

I.

Liebe Schwestern und Brüder!

Es ist ein Geschenk, dass wir in unserem Bistum die Ökumene ganz selbstverständlich leben. 2017 ist im Blick auf die Ökumene ein besonderes Jahr: Die Evangelischen Kirchen feiern das 500jährige Jubiläum der Reformation. Dies alles ist mir ein Anlass, in meinem ersten Fastenhirtenbrief Ihnen dazu einige Gedanken vorzutragen.

Als Katholiken fällt es uns schwer, dieses Jubiläum zu feiern, schließlich spaltete dieses Ereignis und seine Folgen die Kirche. Die Reformationsgedenkfeiern waren in der Vergangenheit leider allzu viel von Polemik, Abgrenzungen, Vorhaltungen bis hin zu unversöhnlichen gegenseitigen Positionierungen gekennzeichnet. Das ist nun Gottseidank überwunden! Mit der ökumenischen Bewegung, die mit dem 2. Vatikanischen Konzil ihre Bestätigung gefunden hat, schauen wir jetzt nicht mehr zuerst auf das Trennende, sondern auf das Verbindende.

Mit dem Blick auf dieses Gedenkjahr verständigten sich die Evangelische Kirche Deutschlands und die Deutsche Bischofskonferenz darauf, das Reformationsgedenken als Christusfest zu feiern. Gemeinsam stellen wir Christus in das Zentrum! Gemeinsam orientieren wir uns an ihm und mühen uns in der Neu- und Wiederentdeckung des Evangeliums, um so den Weg der Versöhnung mit Gott und eines geschwisterlichen Miteinanders zu gehen.

Martin Luther ging es um nichts anderes. Er wollte neu auf Christus und seine gute Botschaft hinweisen. Seine Leidenschaft für den Glauben, die sich z.B. in der Kernfrage „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ äußerte, erscheint uns heute weit entfernt. So kontrovers die Gottesfrage die Menschen damals bewegte, so sehr gerät sie heute in Vergessenheit und ist dennoch von grundlegender Bedeutung: Wohin wende ich mich mit meinen Leiderfahrungen? Wo kann ich in der scheinbaren Belanglosigkeit meines Daseins Trost und Halt finden? Wohin wende ich mich mit meinem Dank? Mein Dasein, mein Können, meine Gesundheit: Verdanke ich mich wirklich nur mir selbst bzw. meinen Mitmenschen oder doch vielmehr einem liebenden Gott?

II.

Mein erster Besuch im Bautzener Dom St.Petri hat mich tief beeindruckt. Der Dom, die Konkathedrale unseres Bistums ist die größte Simultankirche Deutschlands. Ab 1524 wurde dieser Gottesdienstraum von beiden Kirchen gemeinsam genutzt. Die lutherischen Christen konnten dann den hinteren Teil als eigene Gottesdienststätte nutzen.  So gab es in der Reformationszeit immer wieder Situationen, dass die Wirtschaftskraft es nicht erlaubte, zwei Kirchen zu bauen. Teilweise entschieden die Stadtväter rigoros: Eine zweite Kirche ist nicht möglich, einigt Euch!

In den nun folgenden, leider auch bitter blutigen Auseinandersetzungen des konfessionellen Zeitalters lernte man nur äußerst mühsam das wichtige Kapitel der religiösen Toleranz. Man zog hohe Gitter oder gar schalldichte Mauern ein und einigte sich nur unter großen Mühen, die Glocken oder die Orgel gemeinsam zu nutzen. Nach der vorletzten Sanierung des Bautzener Domes im Jahr 1954 kürzte man das erst 1851 eingezogene, über vier Meter hohe Gitter und baute ein kleines Türchen ein. Seit der jüngsten, 2015 abgeschlossenen Erneuerung sind es nun nicht nur zwei Türen, sondern das Gitter ziert in sorbischer und deutscher Sprache die Inschrift aus Johannes 17,21: „Alle sollen eins sein, (…) damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast“. Zwei Kirchen unter einem Dach! Der Bautzener Dom sagt mir: Über alle Streitigkeiten und Verwerfungen der Jahrhunderte hinweg gehören wir zusammen! Das ist ein lebendiges Hoffnungszeichen und Auftrag zugleich!

Am 11. März diesen Jahres sind auf Einladung des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands und der Katholischen Bischofskonferenz Christen beider Konfessionen zu einem Gottesdienst in die Simultankirche St. Michaelis in Hildesheim eingeladen, um einen Versöhnungsgottesdienst zu feiern. In unserem Bistum sind Sie zu einem solchen Gottesdienst am 25. März im Meißener Dom herzlich eingeladen. Neben der Bitte um Versöhnung beten wir aber auch darum, dass Gottes Geist uns weiter zusammenführe, damit die Kirchen in wahrhaftiger und zugleich versöhnter Verschiedenheit zusammenfinden können.

In diesem Anliegen zu beten bleibt unsere erste Aufgabe! Ich möchte anregen, die heutigen und aus diesem Anliegen heraus größeren Fürbitten in den Gottesdiensten dieses Jahres häufiger zu verwenden. So verbinden wir uns immer wieder im gemeinsamen Gebet für die Einheit der Christen.

III.

Zu den großen Errungenschaften des ökumenischen Dialogs zählt neben der 1999 in Augsburg unterzeichneten Erklärung zur Rechtfertigungslehre die Einigung der Kirchen im Hinblick auf das Sakrament der Taufe. Mit der „Gemeinsamen Erklärung zur wechselseitigen Anerkennung der Taufe“, welche 2007 in Magdeburg verabschiedet wurde, konnte eine grundlegende Einigkeit errungen werden. So sehr die eigene Taufe ein auf die Existenz des Einzelnen abzielendes Christusfest ist, so sehr verbindet sich in ihr ebenso ein gemeinschaftliches Christusfest jenseits aller Spaltungen! „Wir Christen“, so Papst Franziskus, „haben alle durch die Gnade der Taufe Barmherzigkeit von Gott erlangt und sind in sein Volk aufgenommen worden. Wir alle – Katholiken, Orthodoxe und Protestanten – bilden eine königliche Priesterschaft und einen heiligen Stamm.“

Es gehört zu den leidvollen, aber dann auch segensreichen Erfahrungen, dass gerade nach den Ereignissen des Ersten und dann vor allem des Zweiten Weltkrieges die ökumenische Bewegung aus der – wie es Papst Johannes Paul II einmal formulierte –  „Ökumene des Blutes“ hervorgegangen ist. Der von den Nationalsozialisten ermordete evangelische Theologe und Pfarrer Dietrich Bonhoeffer oder ebenso der Jesuit Pater Alfred Delp bezeugen mit ihrer „Ganzhingabe […] an die Sache des Evangeliums, dass jedes Element der Spaltung bewältigt und überwunden werden kann“.  Diese Ganzhingabe in der Ökumene der Märtyrer greift Papst Franziskus auf, indem er die ökumenischen Herausforderungen mit den Worten radikal zuspitzt: „Wenn uns der Feind im Tod vereint, wie kommen wir dann dazu, uns im Leben zu trennen?“ Dennoch steht es Papst Franziskus klar vor Augen, dass es leider noch Trennendens gibt. So ist die große Sehnsucht nach dem gemeinsamen Abendmahl, der Eucharistie noch nicht erfüllt. Der Heilige Vater weist jedoch, bezugnehmend auf im Epheserbrief genannten Kriterien der Kircheneinheit einen Weg, den er in der Lutherischen Christuskirche in Rom aufzeigte: „Ich werde es niemals wagen, eine Erlaubnis zu geben, um das zu tun, was nicht in meiner Kompetenz liegt! »Ein Glaube, eine Taufe, ein Herr« (Eph 4,5). Sprechen Sie mit dem Herrn, und schreiten Sie voran! Mehr wage ich nicht zu sagen“ – so Franziskus.

Navid Kermani, der Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels von 2015, versucht als gläubiger Muslim in seinem Buch „Ungläubiges Staunen“ über die christliche Kunst und Architektur einen Zugang zum Christentum zu finden. Die christliche Kultur hat sein deutsches Heimatland wie keine andere geprägt. Mit wenigen Worten baut er eine intensive Beziehung zu den Kunstwerken auf und lässt sich, z.B. durch die Schönheit einer prächtigen Monstranz, zu beeindruckenden Passagen hinreißen: „Die Behälter sind nur Behälter. Wenn es die Menschen sind, die das Brot in Fleisch verwandeln, den Wein in Blut, können auch nur sie mich überzeugen“. Dieser Satz zeigt doch sehr deutlich, dass unsere Schätze, unsere Kirchengebäude und unsere Kunstwerke Menschen zum Staunen bringen können. Von der Frohen Botschaft zu überzeugen vermögen jedoch diejenigen Menschen, welche ihr Christsein glaubwürdig leben.

IV.

Liebe Schwestern und Brüder! Die Taufe verbindet uns mit Christus. Die Taufe führt uns zusammen. Wir sind das Volk Gottes, das mit dem Zeugnis des Lebens der Welt das Evangelium verkündet. In der Feier der Osternacht erneuern wir unser Taufbekenntnis. Darüber hinaus ist es in vielen Gemeinden der Evangelischen und Katholischen Kirche schon eine gute Tradition geworden, am Pfingstmontag gemeinsam einen ökumenischen Gottesdienst zu feiern. Gerne möchte ich anregen, in diesem Christusjahr am Pfingstmontag 1) oder bei einem anderen geeigneten Anlass gemeinsam einen Tauferneuerungsgottesdienst zu feiern.

Aus diesem gemeinsamen Eintauchen in Christus wächst uns eine Aufgabe, eine gemeinsame Verpflichtung zu, die der Apostel Paulus im Galaterbrief so beschreibt: „Denn in Christus Jesus kommt es darauf an, den Glauben zu haben, der durch die Liebe wirkt“ (Gal 5,6). Unsere Zeit braucht im Blick auf die Macht von Lüge und Gewalt, Unfrieden und Tod lebensnotwendig zuerst bekehrte und erneuerte Christen! Die vor uns liegende österliche Bußzeit bietet uns hierfür eine großartige Möglichkeit, die zu ergreifen, ich Sie im Namen der Kirche ermutige!

Für das Weitergehen in ökumenischer Gemeinschaft, dass sich das Wort Jesu immer mehr verwirklicht, „dass alle eins seien, damit die Welt glaubt“ segne Sie der gute und barmherzige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.

+ Heinrich
Bischof von Dresden-Meißen

1) Zu den Rahmenbedingungen für die Feier ökumenischer Gottesdienste am Pfingstmontag vgl. KA 78/2014.